Das•Un•Denkbare•Tun

für VIRGIL MAGAZIN, 2023

Mit Anfang zwanzig verließ ich Österreich, um in London Performance zu studieren. Der Abstand zur Heimat und die intensive künstlerische Auseinandersetzung mit Versuch und Irrtum, Scheitern und Erfolg zeigten mir eines deutlich: Unsere österreichische Kultur ist von Fehlern unglaublich fasziniert. Wir haben aus ganzem Herzen und mit voller Leidenschaft Angst davor, Fehler zu machen. Wir haben keine Fehlerkultur, wir sind eine Fehlerkultur. Doch die Fehler sind nicht das Ziel. Der Prozess ist das Ziel. Daher wünsche ich uns eine Kultur des bewussten Versuchens. Eine Kultur, die große, schöne Visionen wagt. Eine Kultur, die sich auf den Weg dorthin macht und es schafft, Fehler und Scheitern als Entwicklungsschritte zu sehen. Eine Kultur, die offen bleibt für Wege, die vorher un•denkbar waren.
Diese #Versuchskultur ist aus meiner Arbeit entstanden. Denn besonders, wenn es mühsam ist, will ich es so leicht wie nur irgendwie möglich angehen. Drei Elemente bilden das Herzstück dieser #Versuchskultur: Utopie, Umstände, Un•Denkbares•Tun.

Wir haben keine Fehlerkultur, wir sind eine Fehlerkultur. Doch die Fehler sind nicht das Ziel. Der Prozess ist das Ziel.

Utopie. Gibt es etwas, das wesentlich für dich ist und durch dich in diese Welt kommen will? Etwas, das dir richtig Freude macht, das dich aber auch herausfordert und wachsen lässt? Es muss dir zumindest zu 51% Freude bereiten und darf dir maximal zu 49% Bauchweh machen. Wenn wir dieses Ziel, diesen Ort gefunden haben, den es noch nicht gibt – die Utopie –, können wir uns auf den Weg dorthin machen. Am Weg tauchen auch schon die Umstände auf. Sie beflügeln oder lähmen uns, sie sind Knüppel zwischen unseren Beinen, über die wir entweder stolpern oder hinweg tänzeln können. Sie wollen willkommen geheißen werden und als Schritte in den Weg integriert werden. Dabei gilt es offen zu bleiben – für neue Ideen, die uns das Un•denkbare tun lassen. So kann der Weg entstehen, der durch die Umstände zur Utopie führt.

Diese drei Elemente sind richtig große, weite Felder. Jetzt wollen wir in ein Feld spazieren, unser Badetuch ausrollen und die Aussicht genießen. In dem U, bei dem alles beginnt und endet: die Utopie.

Gerade am Anfang will ich die Grenzen mal Grenzen sein lassen. Sie kommen später, keine Sorge. Am Anfang will ich ohne Kompromisse meine Gedanken los schicken, um zu schauen, wo sie hin wollen.

What would you do, if you knew you could not fail?

Während meiner Zeit in London begegnete mir die Wunderfrage. Diese Frage zielt nicht auf Antworten ab wie ohne Fallschirm aus dem Flugzeug springen. Sie zeigt uns vielmehr Grenzen im eigenen Denken auf und lädt uns ein, darüber hinaus zu denken.
So stelle ich mir die Wunderfrage am Beginn von jedem neuen Projekt: Was würdest du tun, wenn du wüsstest, du könntest nicht scheitern? Gerade am Anfang will ich die Grenzen mal Grenzen sein lassen. Sie kommen später, keine Sorge. Am Anfang will ich ohne Kompromisse meine Gedanken los schicken, um zu schauen, wo sie hin wollen. Jedes Mal, wenn eine Stimme in meinem Kopf sagt: Aber Philipp, du hast nicht genug Zeit (Geld, Wissen...), um das zu tun! kommt die Wunderfrage wieder – in einer veränderten Form:Was, wenn ich die Zeit finden kann? Was, wenn ich das Wissen auf dem Weg entdecken kann? So laufen meine Gedanken weiter und gelangen schließlich an einen Ort, den es noch nicht gibt. Eine Utopie im wörtlichsten Sinn. Eine, die ich gerne Wirklichkeit werden lassen will. Wenn ich sie gefunden habe, frage ich weiter: Ist diese Utopie richtig gut? Richtig gut ist sie nur, wenn sie richtig gut für mich ist. Wenn ich mich kaputt machen muss, um diese Utopie zu realisieren, ist sie nicht richtig gut. Sie muss auch richtig gut für mein Umfeld sein. Wenn die Beziehungen zu meiner Familie, meinen Freund:innen, meinem Team für diese Utopie leiden müssen, ist sie nicht richtig gut. Und schließlich muss sie richtig gut für die Welt sein. Wenn die Welt für meine Utopie kaputt gemacht werden muss, ist sie nicht richtig gut. Nur wenn sie richtig gut ist, geht es los.

Diese Fragen schüren das Feuer meiner Vision. Wenn ich weiß, was ich versuchen will und verstehe, wie es mein Leben, das meines Umfelds und auch die Welt als Ganzes schöner macht, wird vieles leichter. So kann ich meinen Motor anwerfen und mich mit Freude den Herausforderungen stellen. Das ist der Schlüssel, der uns über die Grenzen des Denkbaren zu neuen Ufern hinausgehen lässt.

Wenn ich weiß, was ich versuchen will und verstehe, wie es mein Leben, das meines Umfelds und auch die Welt als Ganzes schöner macht, wird vieles leichter.

So möge diese #Versuchskultur Österreich zu einem Sondheim‘schen Musical machen, in dem die Menschen ihre Knack-, Apfel- oder Birnenpopos zum Beat ihres Herzens wackeln lassen, als gäbe es kein Morgen mehr. Statt verärgert Zweite Kassa! zu rufen, fragen sie: Was kann ich heute tun? – dann lassen sie die Butter und das Mehl im Billa stehen, gehen raus in die Welt und tun es.